Den ersten Teil unserer kleinen Serie zur Mazeration findest du hier:
Teil 1: Mazeration – Inhaltsstoffe aus Pflanzen extrahieren
Darin erfährst du auch, wie man einen Ölauszug aus Rosmarinnadeln herstellt.

Selbstgemachte Tinktur in Weißglasflasche
Mazeration – Ölauszug einer Storchschnabeltinktur

Lösungsmittel Alkohol: Die Tinktur

Es gibt verschiedene Wege, Inhaltsstoffe aus Pflanzen zu extrahieren. Einer davon ist der (kalte) Ölauszug, durch den man die lipophilen, sekundären Pflanzenstoffe in einer Öllösung herauszieht.

Des Weiteren kann man einen Auszug auch durch eine wässrig-alkoholische Lösung gewinnen: Die Tinktur.

Der Begriff Tinktur ist dem lateinischen tingere entlehnt, was so viel bedeutet wie “einfärben”, oder auch “etwas versehen mit”. Mittelalterliche Alchemisten mit der Motivation, das Allheilmittel schlechthin zu kreieren, trieben das Herstellen von Tinkturen zur höchsten Kunst. Sie stellten wertvolle Elixiere her – Mischungen verschiedenster Kräuterauszüge auf der Basis von Alkohol.

Heute wissen wir recht gut, welche Wirkungen bestimmte Pflanzenstoffe haben und können getrost selbst ans Werk gehen. Tinkturen im Handel sind meist kostspielig, die Herstellung ist aber glücklicherweise relativ einfach.

Hydrophil oder lipophil?

Der Ölauszug kümmert sich um die lipophilen (in Fett löslichen) Pflanzenstoffe, wie Vitamine, Carotinoide und ätherische Öle.

Die meisten der begehrten Pflanzenstoffe sind jedoch hydrophil (wasserlöslich) und man extrahiert sie deshalb in einer wässrig-alkoholischen Lösung – dem Alkoholauszug. Darunter fallen Bitter- und Gerbstoffe, Flavonoide, Saponine, Schleimstoffe, Salizine und Säuren. Ätherische Öle sind sowohl in Fetten als auch in Alkohol lösbar. Achten musst du nur auf einen geringen Wassergehalt in der Alkohollösung, denn wasserlöslich sind sie leider nicht.

Storchschnabel (Ruprechtskraut) mit Blüte
Storchschnabel mit Blüte [blaustern fotografie/stock.adobe.com]

Anwendung und Vorteile

Auch der Verwendungszweck kann für oder gegen ein bestimmtes Auszugsmittel sprechen. Nicht immer ist ein Ölauszug auch praktisch. Bei Übelkeit einen Löffel Pflanzenextrakt in Öl herunterzuwürgen ist vielleicht nicht unbedingt die beste Idee.

In bestimmten Fällen kommt dir die Tinktur entgegen. Konzentriert und konserviert ist sie sehr leicht zu dosieren und bis zu einem Jahr haltbar.

Ob zur Nahrungsergänzung, Unterstützung deiner Gesundheit oder auch zur Herstellung von Pflege- und Kosmetikprodukten, wie zum Beispiel Salben, Seifen, Shampoos oder Zahncremes – die Tinktur ist sehr vielseitig einsetzbar. Eine sinnvolle Ergänzung deines Kräuterhaushalts!

Mit Blick auf Umweltbelastungen bieten Tinkturen zweckmäßige Alternativen zu den gern genutzten ätherischen Ölen. Diese belasten in hohen Konzentrationen unsere Gewässer und sind schädlich für Wasserorganismen.

Selbstredend ist eine Tinktur nicht geeignet für Kinder oder auch für Menschen mit Leberschäden oder Alkoholsucht. Hier empfiehlt sich als Alternative ein alkoholfreier Auszug in Essig. 

Auf die richtige Konzentration kommt es an

Tinkturen kannst du aus frischem oder getrocknetem Pflanzenmaterial, aber auch aus Harzen, z.B. aus Weihrauch, herstellen. Achte dabei unbedingt auf die richtige Alkoholkonzentration. Entscheidend ist dabei, welche Stoffe du aus einem Pflanzenteil lösen möchtest:

zu lösende StoffeAlkoholkonzentration
Bitterstoffe, Gerbstoffeca. 30-50 Vol.%
Flavonoideca. 50 Vol.%
Ätherische Öle, Cumarine, Scharfstoffe50-70 Vol.%
Schleimstoffe, Glycoside, Saponine, Alkaloideca. 20-40 Vol.%
Alkoholkonzentration zur Lösung bestimmter Pflanzenwirkstoffe


Außerdem solltest du beachten, aus welchem Teil einer Pflanze du Stoffe extrahieren möchtest. Als Faustregel gilt:

PflanzenteilAlkoholkonzentration
Blüten und Blätter40-55 Vol.%
Wurzeln/verholzte Teile55-70 Vol.%
Harze70-95 Vol.%
Alkoholkonzentration zur Lösung aus einem bestimmten Pflanzenteil



Der Alkoholgehalt deiner Lösung ist also von zwei Faktoren abhängig: Der Löslichkeit der gewünschten Wirkstoffe und dem Charakter des verwendeten Pflanzenteils. Was willst du extrahieren und woraus, sprich aus welchem Pflanzenteil?

Ein Gerbstoffauszug aus Grüntee (Blätter) beispielsweise kommt mit 40-50 Vol.% aus, während die Eichenrinde aufgrund ihres holzigen Charakters mindestens 60 Vol.% zur Gerbstoffextraktion benötigt.

Eine 70% ige Wasser-Alkohol-Mischung ist ein guter Rundumschlag, um alle löslichen Sekundärstoffe zu erwischen. Achte darauf unvergällten Alkohol zu benutzen. In der Apotheke bekommt man qualitativ hochwertigen Weingeist/Ethanol. Dieser wird dann mit destilliertem Wasser verdünnt. 

Von der Theorie zur Praxis:
Deine Storchschnabeltinktur/Ruprechtkrauttinktur

Hier erfährst du, wie du eine Tinktur aus getrocknetem Storchschnabelkraut, auch Ruprechtkraut genannt, herstellst. Das Mischungsverhältnis bei getrocknetem Material beträgt 1:5, bei frischem 1:10.

Wichtig ist, die Pflanzenteile, egal ob Kraut, Samen, Wurzel oder Frucht, vorher zu zerkleinern. Denn je mehr Angriffsfläche, umso besser können die Wirkstoffe gelöst werden.

Gib dein zerkleinertes Pflanzenmaterial dann in ein sauberes, sehr gut verschließbares Glas. Am besten spülst du es vorher mit etwas Hochprozentigem aus. Übergieße dein Pflanzenmaterial dann mit dem Alkohol. Achte dabei darauf, dass alles gut um- und überspült wird.

Verschließe das Glas sehr gut und schwenke alles ordentlich durch. Du darfst ruhig auch kräftig schütteln. Das solltest du nun mindestens täglich tun, gern auch mehrmals täglich. Stelle das Glas für mindestens eine Woche oder länger an einen wohltemperierten Ort, nicht in die direkte Sonne.

Dann wird abfiltriert. Dafür eignen sich ein Trichter und ein sauberes Leintuch, alternativ auch ein Kaffeefilter. Notfalls tut es auch ein Nylonstrumpf.

Gefiltert wird am besten direkt in eine saubere Braunglasflasche. Die gibt es mit verschiedenen Aufsätzen, wie dem Tropfaufsatz oder der Pipette.
Lichtgeschützt, bei Raumtemperatur hält sich deine Tinktur mindestens für ein Jahr.

Das Geheimnis der Elixiere

Das Geheimnis um die Elixiere ist ganz schnell gelüftet: Es handelt sich dabei um Tinkturen, die aus mehreren, verschiedenen Pflanzen hergestellt wurden. Dabei sollte das Elixier aus nicht mehr als 5 Pflanzen bestehen, da die Wirkstoffkonzentrationen sonst zu schwach werden.

Die Verwendung frischer vs. getrockneter Pflanzenteile

Verwendest du frische Pflanzenteile, ist wegen des Wassers im Material ein höherer Alkohlgehalt nötig. Auch solltest du etwa 20% mehr Pflanzenmaterial verwenden. Besonders bei frischen Pflanzenteilen lässt sich Schimmelbildung nur durch regelmäßiges Schwenken der Lösung vermeiden, am besten mehrmals täglich.

Bio-Kräuter für eigene Tinkturen kaufen

Die Verwendung getrockneter Pflanzenteile hat einige Vorteile: Schimmel bildet sich nicht so leicht und du benötigst weniger Material zum Ansetzen der Tinktur. Das Material liegt durch den Trocknungsprozess in konzentrierterer Form vor, außerdem kannst du auch außerhalb der jeweiligen Vegetationsperiode eine Tinktur ansetzen, sogar aus exotischen, nichtheimischen Pflanzenteilen!

Viel Spaß beim Ausprobieren und gutes Gelingen!

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